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Schnee von gestern

Skulpturengruppe, gemeinsam mit Franz Lun, Ottensheim, 2019

Ensemble of sculptures, together with Franz Lun, Ottensheim, 2019

Ein Kunstprojekt im Rahmen der Ruder-WM 2019 in Ottensheim

An art project for the rowing world championship 2019 in Ottensheim (AT)

 

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Installation view, Vorarlberg Museum, 2021

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Ansicht des Bauernhofs wahrend des Hochwassers im Sommer 2013 Fotocredit: Freiwillige Feuerwehr Walding, 2013

Am Beginn der Überlegungen von Michael Heindl und Franz Lun zu einem künstlerischen Beitrag für die Ruder-WM 2019 in Linz-Ottensheim stand einerseits der Lokalbezug und andererseits eine Thematik, die weit über regionale Grenzen hinausreicht. Zu einer Art Schlüsselobjekt wurde ein 300 Jahre alter Vierkanthof in Purwörth an der Donau, der sich in der „Schutzzone Überflutungsgebiet“ befindet und noch in diesem Jahr abgerissen wird.

 

Das bäuerliche Anwesen prägte über Jahrhunderte die landschaftliche Umgebung – so wie diese wiederum das Wirtschaften auf dem Hof bestimmte. Bis heute in der klassischen Form eines Vierkanters erhalten, trug der Bauernhof zur Kultivierung des Bodens, heißt auch Lenkung von Gewässern und damit zur „Verwandlung“ der Landschaft bei. Der fruchtbare Boden, den die Donau über Jahrmillionen angeschwemmt hatte, wurde urbar gemacht und sorgte für Nahrung, Arbeit und bäuerlichen Wohlstand. Nunmehr steht der Abbruch des Hofes bevor, da er hinsichtlich Hochwassergefährdung in einem zu exponierten Gebiet liegt.

 

Die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Hochwassergefährdung kann u. a. auf den Klimawandel zurückgeführt werden und so kann konstatiert werden: Der Mensch unterliegt – auch und gerade in Bezug auf die von ihm mitverantworteten Umweltveränderungen – den Kräften der Natur. Im Falle dieses Vierkanthofes muss er ihnen weichen – der Fluss holt sich sein Land zurück.

 

Ausgehend von der Gestalt einer Schneekanone entstanden zwei Objekte, die aus Materialien und dem Inventar des Vierkanthofs zusammengesetzt sind. Um dem Erscheinungsbild von Schneekanonen möglichst nahe zu kommen, wurden bei der Gestaltung passende Materialien und Gegenstände aus allen Epochen des Hofes ausgesucht. Die Objekte sind nicht funktional (keine Kunstschneeproduktion), sondern sind vor allem als Symbol für die Absurditäten menschlichen Handelns zu verstehen.

 

Die Schneekanone erscheint den beiden Künstlern als eine technische Errungenschaft, die viele Widersprüchlichkeiten unserer Zeit treffend in sich vereint: „Mittels Schneekanonen wird unter Verwendung großer Mengen an Wasser und Energie eine Substanz hergestellt, an der es aufgrund der übertriebenen Nutzung von Energie und Rohstoffen mangelt. Die Folge ist, dass sich der Planet erwärmt und der Wasserspiegel steigt, auch jener der Donau“, so Michael Heindl.

 

Das 300-jährige bäuerliche Anwesen wird sozusagen zum unmittelbaren Opfer dieses verhängnisvollen Wechselspiels. Es hat in seiner Form und seiner Bedeutung für das vorherrschende Wirtschaftssystem ausgedient. Vor allem in Zeiten der Krise wird deutlich, wohin sich Prioritäten verlagern. Die Schwerindustrie im stromabwärts gelegenen Linz wird mit großem Aufwand durch Staudämme und andere Maßnahmen geschützt. Die Zerstörungen, die das aufgestaute Wasser anrichtet, werden dabei in Kauf genommen.

 

Es ging bei der künstlerischen Arbeit nicht darum, das Schicksal des Vierkanthofes im Speziellen zu thematisieren. „Uns interessierte die Geschichte dieses Hofes insofern, da sie exemplarisch eine Entwicklung auf unserem Planeten widerspiegelt, die zu einer enormen Herausforderung für die Menschheit geworden ist“, erklärt Franz Lun. An dem Beispiel lasse sich ablesen, wie unsere Art zu wirtschaften zwar einerseits zu Wohlstand und Fortschritt führte, doch andererseits zu einer starken Missachtung des Umweltschutzes und schließlich auch zur Entfremdung des Menschen von der Natur. „Wie kein anderes Lebewesen hat der Mensch das Antlitz des Planeten verändert, ihn nach seinen Anforderungen nutzbar gemacht. Die freigesetzten Energien und der Gestaltungswille waren dabei so enorm, dass uns sogar die Veränderung des Erdklimas gelang“, unterstreicht Heindl und hält fest: „Nun ist unsere Zivilisation an einem Punkt angelangt, an dem sich die Umweltprobleme häufen, mehr und mehr die Kontrolle verloren geht.“ Es sei an der Zeit, sich diese Fehlentwicklung einzugestehen und das Handeln neu auszurichten, ergänzt Lun. „Den Preis dafür, müssen wir ohnehin bezahlen. Davor können uns weder Schneekanonen noch Staumauern retten.“

 

Text: Sandra Dichtl, Lenbachhaus München

You find the english version below

 

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“Schnee von gestern”

 

Michael Heindl’s and Franz Lun’s thoughts on an artistic contribution for the 2019 Rowing World Championships in Linz-Ottensheim started out from a local reference on the one hand and a theme that extends far beyond regional borders on the other. A 300-year-old four-sided farmyard in Purwörth on the Danube, which is located in the “flood protection zone” and will be demolished this year, has become a kind of key object.

For centuries, the rural property shaped the landscape—just as the landscape in turn determined the farm’s economic activities. Preserved to this day in the classic form of a four-sided farmyard, the farm contributed to the cultivation of the soil, i.e. also to the management of waters and thus to the “transformation” of the landscape. The fertile soil that the Danube had washed up over millions of years was reclaimed and provided food, work and rural prosperity. Now the demolition of the farm is imminent, as it is located in an area that is too much exposed to flood hazards.

The increased risk of flooding in recent decades can be attributed, among other things, to climate change and thus the following can be stated: Humans are subject to the forces of nature—also and especially with regard to the environmental changes for which they are partly responsible. In the case of this four-sided farmyard, they have to give way to them—the river is reclaiming its land.

Based on the shape of a snow cannon, two objects have been created, which are composed of materials and the inventory of the four-sided farmyard. In order to get as close as possible to the appearance of snow cannons, suitable materials and objects from all epochs of the farm were selected for the design. The objects are not functional (they don’t generate artificial snow), but are above all to be understood as a symbol for the absurdities of human action.

The snow cannon seems to the two artists to be a technological achievement that aptly incorporates many of the contradictions of our time: “By means of snow cannons, large amounts of water and energy are used to produce a substance that is lacking due to the exaggerated use of energy and raw materials. As a result, the planet is warming and water levels are rising, including the Danube’s,” says Michael Heindl.

The 300-year-old farming estate becomes, so to speak, the immediate victim of this disastrous interplay. In its form and importance for the prevailing economic system, it has had its day. Especially in times of crisis, it becomes clear where priorities are shifting to. Heavy industry in downstream Linz is protected at great expense by dams and other measures. The destruction caused by the dammed water is thereby accepted.

The artistic work was not intended to address in particular the fate of the four-sided farmyard. “We were interested in the history of this farm insofar as it exemplarily reflects a development on our planet, which has become an enormous challenge for humankind,” Franz Lun explains. This example shows how our economic methods have led to prosperity and progress on the one hand, but on the other to serious disregard for the protection of the environment and ultimately to human alienation from nature. “Like no other beings, humans have changed the face of the planet, making it usable according to their requirements. The energies released and the will to shape things were so enormous that we even succeeded in changing the Earth’s climate,” Heindl emphasizes and notes: “Now our civilization has reached a point where environmental problems are accumulating, and control is being lost more and more.” It is time to acknowledge to ourselves this misguided development and to realign our actions, Lun adds. “We must pay the price for this anyway. Neither snow cannons nor dams can save us from this.”

 

Text: Sandra Dichtl, Lenbachhaus Munich

 

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